Das ist neu bei der Arbeitszeiterfassung: das Gesetz 2020 aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs kommt. Wie wird das Urteil des EuGH umgesetzt? Kommt die Arbeitszeiterfassung per Smartphone und App?
Das Urteil des EuGH und das Gesetz zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland
Wer das Urteil des EuGH liest, könnte zur Auffassung kommen, dass die Arbeitszeiterfassung in Deutschland einen weißen Fleck auf der Landkarte darstellt. Bedarf es dazu erst eines Gesetzes, initiiert durch den EuGH?
Mitnichten. Die Stechuhr hat in Deutschland Tradition und es gibt mittlerweile ein digitales Gewand für die Zeiterfassung, das Anbieter wie Timemaster und andere als Lösung anbieten. Aktuell gewinnt die Zeiterfassung erneut an Bedeutung, seit das Home Office sich als Arbeitsplatz in der deutschen Wirtschaft in rasender Geschwindigkeit etabliert hat. Es bleibt die Frage, was sich verändert, wenn es doch bereits eine Zeiterfassung in der deutschen Wirtschaft gibt. Aber sehen wir uns zunächst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs an.
Video: Arbeitgeber sind zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet!
Das Urteil vom 15. Mai 2019
Das Urteil in der Rechtssache mit dem Aktenzeichen C-55/18 geht zurück auf die Klage der spanischen Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO).
Die Gewerkschaft klagte zunächst vor dem nationalen Gerichtshof in Spanien gegen die Deutsche Bank SAE auf die Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglich von den Mitarbeitern geleisteten Arbeitszeiten.
Dies solle zur Überprüfung der an die Gewerkschaften übermittelten Überstunden dienen. Die Deutsche Bank wandte dagegen ein, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichts in Spanien eine solche allgemeine Verpflichtung nicht vorsehe.
In Spanien werden 53,7% der geleisteten Überstunden nicht erfasst. Der nationale Gerichtshof in Spanien zweifelte die Vereinbarkeit der Gesetzesauslegung des Obersten Gerichts mit dem Unionsrecht an und befragte dazu den Europäischen Gerichtshof.
Das spanische Ministerium für Beschäftigung und soziale Sicherheit wiederum hält nicht nur die Feststellung, ob Überstunden geleistet wurden, für wichtig, sondern auch die Zahl der regulären Arbeitsstunden.
Am 15. Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die nationalen Richtlinien im Lichte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer Regelung entgegenstehen, welche die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit welchem die täglich geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufgezeichnet wird. Der EuGH stellte ein Grundrecht der Arbeitnehmer in den Vordergrund.
Es ist das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf die tägliche und wöchentliche Ruhezeit. Dieses Grundrecht der Charta wird in den nationalen Richtlinien präzisiert und die Mitgliedsstaaten der EU müssen dafür Sorge tragen, dass die Arbeitnehmer in den Genuss der ihnen zustehenden Rechte kommen. Nationale Richtlinien dürfen diese Rechte bei der Umsetzung nicht aushöhlen.
Video: uGH-Urteil: Arbeitszeit von Mitarbeitern muss komplett erfasst werden
Der EuGH konstatierte
- Ohne ein System zur Arbeitszeiterfassung kann
die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden nicht erfasst werden. - Ohne ein System zur Arbeitszeiterfassung kann
die Verteilung der geleisteten Arbeitsstunden auf reguläre Arbeitszeit
und auf Überstunden nicht verlässlich ermittelt werden. - Ohne ein System zur Arbeitszeiterfassung ist es für Arbeitnehmer
sehr schwierig bis unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen.
Die Bestimmung der Arbeitszeiten sieht der Europäische Gerichtshof als unerlässlich für die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten an. Der EuGH sieht ein Arbeitszeiterfassungssystem als wirksames Mittel, einfach zu objektiven und verlässlichen Daten zur Arbeitszeit zu kommen.
Dies erleichtert den Arbeitnehmern einen Nachweis einer Verkennung ihrer Rechte und es ermöglicht den zuständigen Behörden und Gerichten die Überprüfung der Einhaltung der Rechte.
Im Urteil fordert der EuGH von den Mitgliedstaaten, die Arbeitgeber zu verpflichten, ein solches
- objektives,
- verlässliches und
- zugängliches
System zur Aufzeichnung der täglich geleisteten Arbeitszeit einzurichten.
Video: Arbeitgeber sehen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung skeptisch
Wie ist Arbeitszeiterfassung derzeit geregelt?
Welche Vorschriften liegen der Arbeitszeiterfassung zugrunde?
Die Arbeitszeiterfassung ist in Deutschland in zwei Vorschriften geregelt.
- Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) regelt die maximal zulässigen Arbeitszeiten, Ruhezeiten und Pausen sowie die Nachtarbeit.
- Das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) regelt die Umgang mit den sensiblen Daten aus der Arbeitszeiterfassung.
Wie wird Arbeitszeiterfassung derzeit umgesetzt?
Die Umsetzung der Aufzeichnung von Arbeitszeiten der Mitarbeiter wird je nach Betrieb unterschiedlich umgesetzt. Die Bandbreite ist sehr groß.
- Manuelle Erfassung der Arbeitszeiten in einem (Papier-)Formular.
- Einstempeln von „Kommen“ und „Gehen“ auf einer (Papier-)Stechkarte.
- „Stechen“ per ID-Karte an einer Kartenlesestation und elektronisches Sammeln der Daten sowie deren automatisiertes Weiterverarbeiten.
- Kontaktloses Erkennen von „Kommen“ und „Gehen“ über eine RFID-Karte.
Welche Art der Arbeitszeiterfassung ist die beste?
Hier gibt es keine einheitliche beste Lösung. Je nach Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitszeitmodells können verschiedene Lösungen in Frage kommen.
Ausschlaggebend: die Branche
In manchen Branchen ist eine Arbeitszeiterfassung wenig sinnvoll. Bei vielen Büro- und Verwaltungstätigkeiten macht eine exakte Dokumentation der Arbeitszeiten wenig Sinn. Hier wird oft mit pauschalen Arbeitszeiten gerechnet.
Wichtig: die Innenorganisation
In großen Unternehmen, welche Niederlassungen in vielen Ländern haben, wird es tendenziell einheitliche Regelungen geben. Ist das Unternehmen nur in Deutschland ansässig oder ist es schlichtweg kleiner, können die Regelungen freier sein. Generell kann man sagen, dass die Arbeitszeiterfassung umso ungezwungener geregelt sein wird, je kleiner das Unternehmen ist.
Der Rahmen: das Arbeitszeitmodell
Mit dem Großwerden des Home Office in diesem Jahr kam eine neue Dimension hinzu. Doch auch vorher schon richtete sich die Arbeitszeiterfassung nach
- den Arbeitszeiten: Kernzeiten („Nine-to-Five“ in der Verwaltung oder ab 07:00 Uhr in einer Kfz-Werkstatt?), Vertrauensarbeitszeit, Gleitzeiten und nach
- dem Tätigkeitsbereich: Schichtdienst, Kundenservice, Verkauf im Ladengeschäft, Bereitschaftsdienste, Job-Sharing-Modelle.
Präferenzen von Chef oder Personalabteilung
Da man hier relativ wahlfrei ist, werden die Entscheidungen für die eine oder andere Form der Arbeitszeiterfassung oft nach Gusto des Chefs oder der Personalabteilung entschieden.
Wie müssen Arbeitszeiten dokumentiert werden?
Auch wenn der Chef die Form wählen kann, hat er gewisse Minimalanforderungen zu erfüllen. Die Arbeitszeiten sind nur dann rechtssicher dokumentiert, wenn der Arbeitgeber:
- den Beginn,
- das Ende,
- die Dauer und
- die Pausenzeiten
der täglichen Arbeitszeit aufzeichnet. Die Pausenzeiten sind hier ebenfalls wichtig, denn diese müssen aus der Arbeitszeit herausgerechnet werden.
Aus Untersuchungen des Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung geht hervor, dass es die deutschen Berufstätigen im 3. Quartal 2019 auf durchschnittlich:
- 6,2 bezahlte Überstunden und
- 5,4 unbezahlte Überstunden
brachten.
Video: EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung – Umsetzung in der Praxis | Betriebsrat Video
Wie wird Arbeitszeiterfassung nach dem EU-Urteil in ein Gesetz gegossen?
Die nationalen Regierungen müssen die Arbeitgeber des Landes dazu bringen, die im Urteil erneut angemahnten Regelungen einzuhalten. Arbeitgeber müssen also die vollständige Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. Das Bundesarbeitsministerium arbeitet nun an einem Gesetzentwurf. Bundesminister Hubertus Heil hat die Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs schon zugesagt. Dabei betonte er, dass dies „verhältnismäßig geschehen und übermäßige Bürokratie vermieden“ werden solle.
Das „Mobile Arbeit Gesetz“
Es ist das Mobile Arbeit Gesetz, welches der digitalen Zeiterfassung Vorschub leistet. Während die Umsetzung des Urteils des EUGH derzeit nicht durch die Presse geht, bringt das Home Office mit den notwendigen organisatorischen Umsetzungen den Stein ins Rollen.
Nach dem Mobile-Arbeit-Gesetz mit dem Entwurf Stand Anfang Oktober 2020 sollen Arbeitnehmer ein Recht auf jährlich mindestens 24 Tage Arbeit an einem außerbetrieblichen Arbeitsplatz erhalten. Dabei zeigte sich gleich eine Lücke.
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Telearbeit
Hier richtet der Arbeitgeber fest einen Bildschirmarbeitsplatz im Home Office des Arbeitnehmers ein. Der Arbeitgeber stattet den Arbeitsplatz technisch aus. Und er trifft Regelungen mit dem Arbeitnehmer nach § 2 Absatz 7 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV)
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Regelarbeitsplatz
Dies ist der Arbeitsplatz im Unternehmen – der Klassiker, wie wir ihn kennen.
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Mobiles Arbeiten
Die neue Form des Arbeitsplatzes ist bislang so gut wie gar nicht geregelt. Hier kommt das gelegentliche Arbeiten zum Tragen, das an einem anderen Arbeitsplatz außerhalb des Betriebes stattfindet. Dies kann das Home Office sein, es kann aber auch die Betreuung auf der Messe oder Projektarbeit beim Kunden des Unternehmens vor Ort sein.
Im Entwurf des Gesetzes wird allerdings auch festgehalten, dass beispielsweise Kfz-Werkstätten, Metzgereien oder Gerüstbauer eher nie mobil werden arbeiten können. Man spricht von „zwingenden betrieblichen Gründen“, welche es dem Unternehmen ermöglichen werden, den Anspruch des Arbeitnehmers auf Mobile Arbeit abzulehnen.
Mit dem Mobile Arbeit Gesetz kommt auf Arbeitgeber auch eine Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung zu. Hintergrund ist, dass in den Diskussionen rund um die Entwicklung des Gesetzesentwurfs von der These ausgegangen wird, dass „Arbeitnehmer außerhalb des betrieblichen Arbeitsplatzes tendenziell eher mehr als weniger arbeiten“.
Diese These ist allerdings für ausgemachter Humbug. Es dürfte uns allen bewusst sein, dass nicht jeder Arbeitnehmer hinreichend diszipliniert ist, seine Selbstorganisation zu bewerkstelligen. Zudem sind im Home Office mehr Gelegenheiten zur Ablenkung vorhanden als an der betrieblichen Arbeitsstätte. Somit kann man davon ausgehen, dass es genug Arbeitnehmer gibt, die @home mehr Home als Office veranstalten.
Wie geht die Politik die Umsetzung des Urteils an?
Die Sprecherin von Ressortchef Hubertus Heil (SPD) betonte kürzlich, dass man bei der Umsetzung des EuGH-Urteils „nicht alles auf den Kopf stellen“ werde.
Von der Vizevorsitzenden der Bundestagsfraktion, Katja Mast (SPD) war zu hören „Wir werden im Gespräch mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden darauf achten, dass wir eine gute und sozial gerechte Lösung finden“.
Ein erstes Gutachten wurde seitens des Ministeriums in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse bereits vorliegen. Darin heißt es: „Das deutsche Recht kennt derzeit keine generelle Verpflichtung aller Arbeitgeber, die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzuzeichnen.“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht das EuGH-Urteil als wichtigen Schritt, um die Flatrate-Arbeit zu unterbinden. Der DGB strebt auch digitale Formen der Arbeitszeiterfassung an, etwa per Smartphone und App.
Das Gerücht der Flatrate-Arbeit
Der Auftritt des Agenturleiters ist bühnenreif. Er sitzt der Bewerberin für die Stelle einer Grafikdesignerin gegenüber und schwadroniert „Also einige unbezahlte Überstunden sind hier bei uns durchaus üblich.
Es ist eben so, dass nicht alle Stellen besetzt sind und auch einige Kollegen krank sind. Da müssen wir einspringen und deren Ausfall auffangen, das werden Sie sicher verstehen. Schließlich erwarten unsere Kunden, dass wir unseren Job machen.
Darunter darf natürlich die Qualität nicht leiden, denn wenn uns Kunden abspringen, dann kann unsere Agentur dicht machen. Da zählen wir ganz fest auf Sie.“. So oder so ähnlich muss das Bild gewesen sein, das der DGB da beschworen hat.
Allerdings ist dies nicht der Standard der Arbeitswelt in Deutschland und mündige Bewerber sind durchaus erwachsen genug, auch ohne digitale Arbeitszeiterfassung auf eine solche Stelle schlichtweg zu verzichten. Zivilcourage muss und kann man nicht durch bürokratische Überregulierung ersetzen.