Wenn ein junger Mensch Philosophie studieren möchte, löst das im ersten Moment oft bei den Eltern Besorgnis, Kopfschütteln und manchmal sogar Ärger aus: Philosophie? Die brotlose Kunst? Der Vater, selbst ein angesehener, gut verdienender Ingenieur oder Manager mit BWL-Hintergrund, nimmt den Kronsohn ins Gebet: Wie willst du später dein Geld verdienen?
Inhaltsverzeichnis: Das erwartet Sie in diesem Artikel
Philosophen: Welterklärer und wirtschaftliche Ratgeber
Philosophen sind aber wichtiger, als ihr Ruf vermuten lässt. Sie erklären der Allgemeinheit die Welt, wenn es um essenzielle gesellschaftliche Fragen geht. Von diesen gibt es mehr als genug, die Philosophen müssen und wollen ihren Elfenbeinturm verlassen.
Nicht nur die prominenten Namen wie Peter Sloterdijk, Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin, sondern auch philosophische Newcomer machen sich in Feuilletons und manchmal auch auf der Titelseite der FAZ Gedanken über Sterbehilfe, Terrorismus, Flüchtlinge oder den modernen Arbeitsmarkt.
Sie stehen zwar auf den großen Schultern von Aristoteles, Immanuel Kant und Martin Heidegger, die mit ihren Philosphien die Welt im Ganzen umrissen haben, doch die geforderten Lösungen betreffen handfeste und drängende Fragen der Gegenwart.
Einige dieser Fragen sind sogar Dauerbrenner, nämlich diejenigen wirtschaftlicher Natur. Zahllose Probleme wollen durchleuchtet werden, das verschafft der Philosophenbranche Aufwind. Zwar befragen Journalisten, wenn sie es können, vorrangig die Philosophen-Elite.
Philosophie in der Arbeitswelt
Doch Nachwuchswissenschaftler haben ebenfalls erstaunlich gute Chancen auf eine Anstellung in der Wirtschaft, also außerhalb der politischen Beratungsgremien und Ethikkommissionen. Der Nachfrage steht freilich ein großes Angebot an Nachwuchs-Philosophen gegenüber, allein an den drei großen Unis in Berlin (Freie und Technische Universität sowie Humboldt-Uni) sind über 1.700 Philosophie-Studenten eingeschrieben. Rund 130 von ihnen schließen jährlich das Studium ab.
Es sind weniger als BWL- oder Technik-Studenten, nur etwa einer von 80 Studienbewerbern entscheidet sich für die zwar angesehene, aber vielleicht nicht lukrative Studienrichtung. Doch in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass es außerhalb der wissenschaftlichen Laufbahn durchaus in der Wirtschaft Jobs für sie gibt.
Philosophen arbeiten bei Stiftungen oder Verbänden
Auch in Stiftungen oder Verbänden kommen sie unter. Sie arbeiten dann in ihrem erlernten Beruf – als Philosoph, auch wenn das nicht immer so heißt. In Berlin sind nur 0,05 % von ihnen arbeitslos gemeldet. Arbeitsvermittler wundert das nicht, denn die Fachrichtung bewährt sich für Journalisten und Unternehmensberater, für Kaufleute und EDV-Anwender.
Die entsprechenden Stellenanzeigen wenden sich zwar nicht direkt an Philosophen, doch genau diese Qualifikation ist nützlich. Warum? – Nun, ein Philosoph lernt mehr als jeder andere Student an der Hochschule, den eigenen Sachverstand kritisch zu schärfen. So beschreibt es die Professorin Anne Eusterschulte.
Ihre Beweise begründen sie nach Kant (ontologischer Gottesbeweis, affirmativer Begriff der Totalität), Theorien haben sie hinreichend diskutiert, kritische Positionen dazu in eigener Sprache verfasst. Das fehlt vielen Vertretern anderer Fachrichtungen, die eine apodiktische Aussage – sei sie technischer, medizinischer oder ökonomischer Natur – meistens ohne Hinterfragen übernehmen.
Doch Aussagen überholen sich in unserer schnellen Zeit in Windeseile. Immer mehr kommt es darauf an, komplexe und uneindeutige Zusammenhänge zu analysieren. Das schaffen Philosophen am besten. Anschließend können sie aufgrund ihres fundierten Sprachvermögens neue Standpunkte sehr gut kommunizieren. Der Job als Unternehmenssprecher sollte wohl am besten an einen studierten Philosophen vergeben werden.
Was sagt die Wirtschaft zu den Philosophen?
Ein Sprecher der Unternehmensberatung Roland Berger äußerte sich schon vor Längerem sehr positiv zu den Philosophen. Diese würden sehr gut in die Teams des renommierten Unternehmens passen. Zwar seien sie ungeschliffener, kantiger und viel individueller als Wirtschaftswissenschaftler und Techniker.
Doch gerade das ist nicht nur sympathisch und reizvoll, sondern teilweise von essenzieller Bedeutung. Eine Unternehmensberatung nämlich braucht Querdenker. Ein Philosoph wiederum ist der letzte Mensch, der sich das Denken verbieten lässt.
Dabei steuert er auf schlüssige Lösungen zu, die wiederum im Management sehr gefragt sind. Schon sehr lange ist bekannt, dass logische Schlussfolgerungen bei sehr vielen Unternehmensentscheidungen viel bedeutender sind als technisches Detailwissen. Für dieses gibt es genügend Fachleute.
Wer jedoch einen Markt mit “gesundem Menschenverstand” beurteilen möchte, muss wissen, wie man zu einer plausiblen, belastbaren Aussage kommt. Genau das ist das Geschäft der Philosophie, und zwar schon seit Jahrtausenden.
Philosophen: Nebenfächer beachten
Philosophen, die es dem Papa mit einer guten Anstellung beweisen wollen, sollten dringend über den Tellerrand schauen – auch wenn der philosophische Kosmos an sich schon groß genug ist. Auslandserfahrungen sind immer ein Bonus, die gute Allgemeinbildung ebenfalls. Zu dieser kann gehören, dass ein Bewerber auch mal ein BWL-Skript gelesen hat und “Cashflow” nicht für eine exotische Gattung der Lurche hält. Nötigenfalls kann sich der Jung-Philosoph dieses Wissen auch nach seinem Studium aneignen.
Diejenigen Absolventen jedoch, die Jahre nach dem Studium keine weiteren Qualifizierungen, aber auch keine Jobs vorzuweisen haben, verlieren den roten Faden im Lebenslauf und damit ihre ursprünglich guten Karten bei Arbeitgebern.
Wenn sie es auf eine Stelle in der Wirtschaft schaffen, wird sie ihr Arbeitgeber zu entsprechenden Trainings in Teamarbeit und BWL schicken. Letzteres ist eine Schlüsselqualifikation, die auch schon während des Studiums den Philosophen offensteht. Seit dem Bologna-Prozess ist die Berufsorientierung noch viel mehr in den Fokus der Hochschulen gerückt.
Fakultäten und Karrierecenter bieten Seminare und Vorträge für den Berufseinstieg an. Studenten der Berliner Humboldt-Uni können einen Kurs belegen, der angehenden Philosophen das journalistische Arbeiten beibringt. Praktika sind überdies ein probater Weg für die Berufsvorbereitung. Sehr bodenständige Philosophen werden wohl auf eine Zusatzausbildung im Marketing setzen, damit sind sie als Fachleute überaus gefragt.
Der übliche Berufsweg von Philosophen: 20 mögliche Jobs
Das Hochschulinformationssystem (HIS) hat eine Studie zum Berufsweg der Philosophie-Absolventen durchgeführt, wie er üblicherweise verläuft. Demnach hangeln sich diese größtenteils von einem Praktikum oder einer befristeten Stelle zum nächsten Arbeitgeber, bis sie endlich eine Festanstellung gefunden haben.
Diese heißt so gut wie nie “hauptamtlicher Philosoph” – siehe oben -, dennoch sind die Geisteswissenschaftler mit den Inhalten der Tätigkeit und den Arbeitsbedingungen überwiegend zufrieden.
Die Palette an möglichen Jobs ist überaus vielfältig:
- Kommunikationsberater
- Personalberater
- Referent für Nachhaltigkeit
- Management Assistenz
- Produktentwickler
- Werkstattleiter
- Journalist
- Leitung Konzept Branding
- Research Analyst Websearch
- Head of PR & Communication
- Mitarbeiter Software Ergonomie
- Mediator
- Lehrer
- Arbeitsvermittler
- Altenpfleger
- Mitarbeiter Hochschulmarketing
- Mediengestalter
- Call Center Leiter
- Barchef
- Sales & Projektmanager
Viele Philosophen dürften sich von der Liste durchaus inspirieren lassen, die sich noch erweitern ließe. Die meisten dieser Tätigkeiten funktionieren aber nur mit einer Zusatzausbildung, die auch „on the job“ stattfinden kann. Des Weiteren ist zu beachten, dass keiner dieser Jobs die Endstation bedeuten muss (zum Beispiel als Barchef). Wichtig bleibt, dass im Lebenslauf das abgeschlossene Philosophiestudium vermerkt ist. Jederzeit kann daraufhin die Berufung in eine Ethikkommission erfolgen.
Philosophen im öffentlichen Dienst
Während die vorgestellte Liste auf Jobs in der privaten Wirtschaft zielt, bietet der öffentliche Dienst der Länder und Kommunen Jobs für studierte Philosophen an, die wirklich etwas mit Philosophie zu tun haben – nämlich beispielsweise mit der Philosophie der Stadtentwicklung. Stadtentwicklungskonzepte gehören zu den größten Herausforderungen der Kommunalpolitik. Sie betrachten einen mittel- und langfristigen Planungszeitraum und müssen zwingend auf einer bestimmten, begründbaren Philosophie basieren.
Vielfach berücksichtigen die Stadtplaner nur klassische Instrumente, also die Förderung von neu angesiedelten Unternehmen, die Verkehrsentwicklung und den kommunalen Wohnungsbau. Unberücksichtigt bleiben junge, aber mächtige Entwicklungen wie eine alternde deutsche Bevölkerung bei gleichzeitig ungebremstem Zuzug von jungen, vielfach gut ausgebildeten, aber kaum Deutsch sprechenden Flüchtlingen.
Auch der Wunsch von deutschen Senioren, am Stadtrand im Grünen zu wohnen, was sich die Zielgruppe durchaus leisten kann, wird kaum erkannt und noch weniger beachtet. Es handelt sich hier um demografische und weltpolitische Entwicklungen, die nicht nur temporär auftreten, sondern die Entwicklung der nächsten hundert Jahre beeinflussen werden.
Ein Philosoph im Planungskomitee vermag sicher die Bedeutung dieser jetzt schon bestehenden Fakten einzuschätzen und auch Antworten zu liefern: Wie muss eine Stadt planen? Wie lassen sich Wohnsituationen, Verkehrswege und wirtschaftliche Ansiedlungen optimal gestalten?
Welche Konflikte drohen, wie sind sie zu entschärfen? Wie kann einer Ghettoisierung von Migranten entgegengewirkt werden, ohne diese in Gefahr zu bringen? Was kann Integration leisten? Müssen nur die Neubewohner Deutschlands aus Syrien und dem Irak in Deutschland integriert werden, oder muss man auch der deutschen Bevölkerung den Umgang mit einer anderen Kultur näherbringen?
Welche Erfahrungen mit einer Völkerwanderung gibt es in der Geschichte? Der Begriff der “Völkerwanderung” wird im historisch engeren Sinn auf die Wanderungen von Germanenstämmen zwischen etwa 370 bis 570 n. Chr. angewendet. Doch Vertreibungen und riesige Fluchtbewegungen gab es auch im 20. Jahrhundert. Es taucht in diesem Zusammenhang der Begriff der “Assimilation” auf, ein klassisches philosophisches Thema. Wie wir sehen, haben moderne Philosophen eigentlich überreichlich zu tun.
Bildnachweis: © unsplash.com – Greg Rakozy
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